Das ausländische Unterhaltsverfahren – und die Verfahrensbenachrichtigung
Unter welchen Voraussetzungen kann eine nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaats erfolgte rein fiktive Zustellung der Benachrichtigung vom Unterhaltsverfahren ein Anerkennungshindernisses nach Art. 22 lit. e Nr. i HUÜ 2007 darstellen? Mit dieser Frage hatte sich aktuell erneut1 der Bundesgerichtshof zu befassen:
Dem zugrunde lag ein Rechtsstreit über die Vollstreckbarerklärung einer von einem Gericht in Florida erlassenen Entscheidung über Kindesunterhalt. Aus der Ehe der Beteiligten sind drei gemeinsame, in den Jahren 1994, 1998 und 2001 geborene Kinder hervorgegangen. Nach der Trennung der Beteiligten im Jahr 2003 verblieb die Kindsmutter mit den Kindern am letzten gemeinsamen Wohnsitz der Familie in Florida. Der Kindsvater kehrte später nach Deutschland zurück. Im Jahr 2008 sprach das Bezirksgericht des zwanzigsten Gerichtsbezirks in und für Lee County, Florida (im Folgenden: Bezirksgericht), die Ehescheidung aus und verpflichtete den Kindsvater, an die Kindsmutter für die Kinder einen vorläufigen monatlichen Unterhalt in Höhe von insgesamt 995 US$ zu zahlen, wobei es sich die endgültige Festsetzung des Unterhalts einschließlich des Rückstands zu einem späteren Zeitpunkt vorbehielt. Der Kindsvater hatte den Scheidungsantrag unter Angabe einer Wohnanschrift in Florida gestellt. Auf einen im Jahr 2012 noch im Rahmen des Scheidungsverfahrens gestellten Antrag der Kindsmutter verpflichtete das Bezirksgericht den Kindsvater in seiner Abwesenheit durch Entscheidung vom 11.09.2012 zur Erstattung von Aufwendungen für ärztliche Behandlungen der Kinder in Höhe von 9.464, 60 US$ nebst 4, 75 % Zinsen und Gerichtskosten. Das Gericht hatte diesen Antrag an die im Scheidungsverfahren ursprünglich angegebene Anschrift des Kindsvaters in Florida versendet, an der er sich jedoch nicht mehr aufhielt. In den Entscheidungsgründen wird darauf hingewiesen, dass der Kindsvater trotz erfolgten Postrücklaufs als ordnungsgemäß benachrichtigt anzusehen sei.
Das erstinstanzlich hiermit befasste Amtsgericht Frankfurt am Main hat dem Antrag der Kindsmutter, die Entscheidung des Bezirksgerichts vom 11.09.2012 mit der Vollstreckungsklausel zu versehen, hinsichtlich der Behandlungskosten und Zinsen entsprochen2. Die dagegen gerichtete, im Wesentlichen auf den Einwand fehlender Kenntnis vom Unterhaltsverfahren gestützte Beschwerde des Kindsvaters ist vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main ohne Erfolg geblieben3. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Kindsvaters, die nach § 46 AUG zulassungsfrei statthaft ist, führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und in Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung zur Zurückweisung des Antrags auf Vollstreckbarerklärung durch den Bundesgerichtshof:
Das Oberlandesgericht Frankfurt hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der in Florida errichtete Unterhaltstitel sei nach den Bestimmungen des Haager Unterhaltsübereinkommens 2007 für vollstreckbar zu erklären. Ohne Erfolg berufe sich der Kindsvater auf das Anerkennungshindernis nach Art. 22 lit. e Nr. i HUÜ 2007 mit der Begründung; vom zugrunde liegenden Unterhaltsverfahren nicht benachrichtigt worden zu sein. Denn das verfahrenseinleitende Schriftstück sei ihm nach den insoweit maßgeblichen Zustellungsvorschriften des Bundesstaates Florida ordnungsgemäß zugestellt worden. Hiernach gelte die Besonderheit, dass eine zur Zahlung von Unterhalt verurteilte Partei verpflichtet sei, beim örtlich zuständigen Gericht und einem dafür eingerichteten Staatsregister4 Informationen über ihren Aufenthalt und ihre Identität zu hinterlegen und eventuelle Änderungen mitzuteilen. Unterlasse sie dies, könne das Gericht die Zustellung von Schriftstücken durch Übersendung an die früher angegebene Anschrift bewirken. Eine solche fiktive Zustellung sei hier ordnungsgemäß erfolgt, da der Kindsvater trotz seiner Unterhaltsverpflichtung die Änderung seiner Daten nicht mitgeteilt habe. Auch die Voraussetzungen einer Verweigerung der Anerkennung nach Art. 22 lit. b HUÜ 2007 habe der Kindsvater nicht hinreichend konkret dargetan. Insbesondere habe er nicht bewiesen, dass die Kindsmutter im Jahr 2012 seine deutsche Wohnanschrift gekannt habe. Schließlich sei auch der von ihm erhobene Erfüllungseinwand nach Art. 23 Abs. 8 HUÜ 2007 unbegründet. Dies hält rechtlicher Nachprüfung durch den Bundesgerichtshof in wesentlichen Punkten nicht stand. Zu Recht beruft sich der Kindsvater darauf, im Unterhaltsverfahren kein ausreichendes rechtliches Gehör erhalten zu haben.
Im Ansatz zutreffend ist das Oberlandesgericht Frankfurt allerdings davon ausgegangen, dass sich die Vollstreckbarerklärung für die von dem Bezirksgericht in Florida erlassene Unterhaltsentscheidung nach Art.19 ff. des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23.11.20075 richtet, das im Verhältnis zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika seit 1.01.2017 in Kraft ist6. Insbesondere fällt die hier maßgebliche Verpflichtung unter den Begriff der Unterhaltspflicht nach Art. 2 Abs. 1 lit. a HUÜ 2007; dieser ist weit auszulegen und nicht auf periodisch wiederkehrende Leistungen beschränkt7.
Auch die Übergangsbestimmungen des Art. 56 Abs. 1 lit. b, Abs. 3 HUÜ 2007 stehen der Anwendung des Übereinkommens nicht entgegen. Die Kindsmutter hat ihren Antrag auf Anerkennung und Vollstreckung nach dem genannten Zeitpunkt des Inkrafttretens gestellt. Sie verfolgt damit zwar vor diesem Zeitpunkt fällig gewordene Unterhaltsansprüche, jedoch handelt es sich dabei um Kindesunterhalt für einen Zeitraum, in dem keines der anspruchsberechtigten Kinder das 21. Lebensjahr bereits vollendet hatte.
Entgegen der Auffassung des Oberlandesgericht Frankfurts beruft sich der Kindsvater zu Recht auf das Anerkennungshindernis nach Art. 23 Abs. 7 lit. a iVm Art. 22 lit. e Nr. i HUÜ 2007. Hiernach kann die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung in den Fällen, in denen der Kindsvater im Verfahren im Ursprungsstaat weder erschienen noch vertreten worden ist, dann verweigert werden, wenn er, sofern das Recht des Ursprungsstaats eine Benachrichtigung vom Verfahren vorsieht, nicht ordnungsgemäß vom Verfahren benachrichtigt worden ist und nicht Gelegenheit hatte, gehört zu werden. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Ob sich der Kindsvater auch auf den Versagungsgrund des Art. 22 lit. b HUÜ 2007 berufen kann, ist danach nicht mehr erheblich.
Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass der angefochtenen Entscheidung entschieden hat8, ist nach Art. 22 lit. e Nr. i HUÜ 2007 nicht auf die formal ordnungsgemäße Zustellung der Benachrichtigung vom Verfahren, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte abzustellen. Diese gelten als gewahrt, wenn der Kindsvater Kenntnis vom laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat und deswegen seine Rechte geltend machen konnte. Allerdings sind schwerwiegende Mängel bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks regelmäßig als ein starkes Indiz dafür zu berücksichtigen, dass dem Schuldner im Ursprungsstaat kein ausreichendes rechtliches Gehör bei der Verfahrenseinleitung gewährt worden ist.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind fiktive Zustellungen – wie die öffentliche Zustellung oder die Zustellung durch Übergabe an den Staatsanwalt9 nach französischem Recht – im Regelfall nicht als ausreichend anzusehen, weil sie dem Kindsvater meistens keine effektive Möglichkeit eröffnen; vom Inhalt des zuzustellenden Schriftstücks tatsächlich Kenntnis zu nehmen und sich auf das Verfahren im Ursprungsstaat einzulassen. Obwohl eine fiktive Zustellung aus diesem Grund vielfach auf eine Fiktion der Kenntnisnahme hinausläuft, kann hierin aber kein generelles Anerkennungshindernis gesehen werden, weil auch im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr nicht derjenige Kindsvater begünstigt werden soll, der sich der Rechtsprechung im Ursprungsstaat durch Aufenthalt an einem unbekannten Ort entzieht. Ob sich der Kindsvater in einem späteren Verfahren der Vollstreckbarerklärung auf die seine Verteidigungsmöglichkeiten beschränkende Ineffizienz der fiktiven Zustellung berufen kann, ist im Wege einer Abwägung der schützenswerten Interessen des Antragstellers und des Kindsvaters zu beurteilen10.
Im Rahmen dieser Abwägung ist auf Seiten des Kindsvaters zu berücksichtigen, ob er die Veranlassung einer fiktiven Zustellung an ihn zu vertreten hat. Eine Anerkennung wird demnach trotz einer fiktiven Zustellung insbesondere dann in Betracht kommen, wenn der Kindsvater sich einer andersartigen Zustellung mutwillig entzogen oder auf andere Weise seine Unkenntnis vom Verfahren verschuldet hat. Neben einem Vertretenmüssen des Kindsvaters kann jedoch im Einzelfall auch ein vorwerfbares Verhalten des Antragstellers zu berücksichtigen sein, welches bei wertender Betrachtung den Verursachungsbeitrag des Kindsvaters aufwiegen und das Interesse des Antragstellers an wirksamer grenzüberschreitender Unterhaltsvollstreckung (vgl. Art. 1 HUÜ 2007) hinter das Interesse des Kindsvaters an der Wahrung seiner Verteidigungsrechte zurücktreten lassen kann. Hierfür kommen namentlich solche Fälle in Betracht, in denen der Antragsteller während des laufenden Verfahrens im Ursprungsstaat den tatsächlichen Aufenthalt des Kindsvaters erfährt, er das Gericht jedoch vor Erlass der Säumnisentscheidung nicht hiervon in Kenntnis setzt11.
Nach diesen Maßstäben wurden die Verteidigungsrechte des Kindsvaters in dem der Unterhaltsentscheidung zugrunde liegenden Verfahren nicht in einer Art. 22 lit. e Nr. i HUÜ 2007 entsprechenden Weise gewahrt. Dabei bedarf es hier keiner Entscheidung, ob die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an die letzte bekannte Anschrift des Kindsvaters nach den hierfür maßgeblichen12; vom Oberlandesgericht Frankfurt festgestellten Regelungen des Bundesstaats Florida möglicherweise mangels vorheriger Bemühungen zur Ermittlung seines tatsächlichen Aufenthaltsorts13 nicht ordnungsgemäß war. Denn auch bei Annahme einer formal ordnungsgemäßen Zustellung des Antrags hatte der Kindsvater im Hinblick auf die hier erfolgte fiktive Zustellung und die weiteren maßgeblichen Umstände keine ausreichende Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Unterhaltsverfahren.
Das verfahrenseinleitende Schriftstück wurde dem Kindsvater lediglich im Wege einer fiktiven Zustellung bekannt gegeben. Dies ergibt sich aus den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Oberlandesgericht Frankfurts. Hiernach war dem Bezirksgericht in Florida bereits seit dem Jahr 2008 bekannt, dass sich der Kindsvater tatsächlich nicht mehr an seiner letzten – für seine Verfahrensbeteiligung vom Gericht weiterhin verwendeten – Anschrift in Florida aufhielt. Zudem waren im Unterhaltsverfahren vor Erlass der Endentscheidung mehrere gerichtliche Postsendungen in Rücklauf gekommen. Dass der Kindsvater seine nach dortigem Zustellungsrecht bestehende Verpflichtung zur Mitteilung einer geänderten Anschrift nicht erfüllt hat, führt zu keiner anderen Einordnung.
Die demnach gebotene Interessenabwägung fällt vorliegend zugunsten des Kindsvaters aus. Denn nach den für den Bundesgerichtshof bindenden Feststellungen des angefochtenen Beschlusses und den weiteren zu berücksichtigenden Umständen hatte er die Beeinträchtigung seiner Möglichkeit der Rechtsverteidigung im Verhältnis der Beteiligten zueinander nicht überwiegend zu vertreten.
Hiernach war für den Kindsvater zwar bei Abschluss des Scheidungsverfahrens erkennbar, dass das Unterhaltsverfahren vor dem Bezirksgericht zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden konnte. Zudem war er als Unterhaltsverpflichteter nach dem örtlichen; vom Oberlandesgericht Frankfurt durch Rechtsgutachten aufgeklärten Verfahrensrecht14 verpflichtet, unter anderem seine Wohnanschrift amtlich zu hinterlegen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Dass er sich durch das Unterlassen einer solchen Mitteilung dem mehr als drei Jahre später eingeleiteten Unterhaltsverfahren mutwillig entzogen hat, ist hingegen nicht festgestellt. Demgegenüber hätte die Kindsmutter dem Bezirksgericht die geänderte Anschrift des Kindsvaters mitteilen und so dessen Beteiligung ermöglichen können. Das vom Oberlandesgericht Frankfurt auch insoweit aufgeklärte Verfahrensrecht von Florida15 sieht in Bezug auf die Ermittlung des Aufenthalts des Schuldners ebenfalls eine Mitwirkungspflicht des Unterhaltsgläubigers vor. Dass der Kindsmutter die deutsche Wohnanschrift des Kindsvaters bekannt war, hat sie zwischenzeitlich unstreitig gestellt. Diese Sachlage ist unter den Umständen des vorliegenden Falls auch im Rechtsbeschwerdeverfahren zu berücksichtigen16.
Die Berufung auf das Anerkennungshindernis ist dem Kindsvater auch nicht deshalb verwehrt, weil er es etwa versäumt hätte, die Unterhaltsentscheidung mit einem nach der Verfahrensordnung des Bundesstaates Florida möglicherweise zulässigen Rechtsbehelf anzufechten. Ob ihm ein solcher zur Verfügung stand oder gegebenenfalls immer noch steht, ist nach Art. 22 lit. e Nr. i HUÜ 2007 nicht erheblich17.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. Januar 2022 – XII ZB 305/19
- im Anschluss an BGH, Beschluss vom 09.06.2021 – XII ZB 416/19 , FamRZ 2021, 1647 [↩]
- AG Frankfurt a.M., Beschluss vom 29.06.2017 – 460 F 9102/17 [↩]
- OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 03.06.2019 – 5 UF 224/17 [↩]
- State Registry [↩]
- Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 – HUÜ 2007 [↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 27.05.2020 – XII ZB 102/20 , FamRZ 2020, 1293 Rn. 5 mwN [↩]
- Andrae Internationales Familienrecht 4. Aufl. § 10 Rn. 5 mwN [↩]
- BGH, Beschluss vom 09.06.2021 – XII ZB 416/19 , FamRZ 2021, 1647 Rn. 12 [↩]
- remise au parquet [↩]
- BGH, Beschluss vom 09.06.2021 – XII ZB 416/19 , FamRZ 2021, 1647 Rn. 13; vgl. auch BGH, Beschluss vom 28.11.2007 – XII ZB 217/05 , FamRZ 2008, 390 Rn. 31 mwN zu Art. 6 HUVÜ 1973 und Art. 27 Nr. 2 LugÜ 1988 [↩]
- BGH, Beschlüsse vom 09.06.2021 – XII ZB 416/19 , FamRZ 2021, 1647 Rn. 14; und vom 28.11.2007 – XII ZB 217/05 , FamRZ 2008, 390 Rn. 32 f. mwN [↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 03.04.2019 – XII ZB 311/17 , FamRZ 2019, 996 Rn. 22 [↩]
- „diligent effort“ [↩]
- Florida Statutes § 742.032 [1] [↩]
- Florida Statutes § 742.032 [2] [↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 19.06.2013 – XII ZB 633/11 , FamRZ 2013, 1362 Rn. 12 mwN; Keidel/Meyer-Holz FamFG 20. Aufl. § 74 Rn. 37 f. mwN [↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 09.06.2021 – XII ZB 416/19 , FamRZ 2021, 1647 Rn.19 [↩]