HIV-Hilfe – und die Bemessung des nachehelichen Unterhalts
Leistungen nach § 16 Abs. 1 des Gesetzes über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen (HIV-Hilfegesetz, HIVHG) bleiben bei der Unterhaltsbemessung stets unberücksichtigt1.
Auch wenn eine abschließende Entscheidung über die Folgen des § 1578 b BGB noch nicht möglich ist, darf eine Entscheidung darüber nicht vollständig zurückgestellt werden. Vielmehr muss das Gericht insoweit entscheiden, als eine Entscheidung aufgrund der gegebenen Sachlage und der zuverlässig voraussehbaren Umstände möglich ist. Das gilt insbesondere für eine bereits mögliche Entscheidung über die Herabsetzung nach § 1578 b Abs. 1 BGB2.
Zweck des HIV-Hilfegesetzes ist nach dessen § 1, aus humanitären und sozialen Gründen und unabhängig von bisher erbrachten Entschädigungs- und sozialen Leistungen an Personen, die durch Blutprodukte unmittelbar oder mittelbar mit HIV infiziert wurden oder infolge davon an AIDS erkrankt sind, und an deren unterhaltsberechtigte Angehörige finanzielle Hilfe zu leisten. Anspruchsberechtigt sind dabei nach § 15 HIVHG über die vor dem 1.01.1988 HIV-Infizierten und/oder an AIDS Erkrankten hinaus auch mittelbar infizierte Personen (Ehepartner, Verlobte und Lebenspartner oder bei der Geburt infizierte Kinder) sowie nicht infizierte Kinder und Ehepartner von Infizierten oder Erkrankten. Nach § 16 Abs. 3 HIVHG erhielten nicht infizierte Ehepartner für einen Zeitraum von fünf Jahren monatlich 511,29 €, wenn die infizierte Person im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes am 31.07.1995 bereits verstorben war, während nicht infizierte Kinder gemäß § 16 Abs. 2 HIVHG nach dem Tod der infizierten Person monatlich 511,29 € bis zum Abschluss ihrer Berufsausbildung erhalten, längstens bis zum Ablauf des 25. Lebensjahres. Nach § 16 Abs. 1 HIVHG erhalten HIV-infizierte Personen monatlich 766, 94 € und AIDSerkrankte Personen monatlich 1.533, 88 €.
Sämtliche Leistungen werden nach § 17 Abs. 1 HIVHG nicht auf andere Leistungen aus öffentlichen Mitteln angerechnet und auch nicht bei der gesetzlich vorgesehenen Ermittlung von Einkommen und Vermögen berücksichtigt.
Der Regelungsgehalt dieser Vorschrift beschränkt sich allerdings nicht darauf, dass die Leistungen nach dem HIV-Hilfegesetz nicht auf andere Leistungen aus öffentlichen Mitteln angerechnet werden3, sondern umfasst nach seinem Wortlaut allgemein auch die Ermittlung des Einkommens von infizierten Personen. Die gesetzliche Regelung erstreckt sich daher auch auf die unterhaltsrechtliche Einkommensermittlung.
Die in § 17 Abs. 1 HIVHG getroffene Regelung die bei Inkrafttreten des HIV-Hilfegesetzes im Juli 1995 § 17 Abs. 2 HIVHG a.F. entsprach, vgl. § 14 des AntiDHilfegesetzes vom 02.08.20004 orientierte sich an der damaligen Regelung über die sogenannte Conterganrente5.
Durch das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ vom 17.12 19716 wurde eine Stiftung mit dem Zweck errichtet, behinderten Menschen, deren Fehlbildungen mit der Einnahme bestimmter Präparate durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können, Leistungen zu erbringen, insbesondere die sogenannte Conterganrente. Diese Leistungen blieben nach § 21 Abs. 2 des Errichtungsgesetzes bei der Ermittlung von Einkommen und Vermögen nach anderen Gesetzen, insbesondere dem Bundessozialhilfegesetz, dem Arbeitsförderungsgesetz und dem Gesetz für Jugendwohlfahrt, außer Betracht. Verpflichtungen anderer, insbesondere Unterhaltspflichtiger und Träger der Sozialhilfe oder anderer Sozialleistungen wurden nach § 22 Satz 1 des Errichtungsgesetzes nicht berührt.
§ 21 Abs. 2 des Errichtungsgesetzes wurde nachfolgend durch das Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen (Conterganstiftungsgesetz – ContStifG) vom 13.10.20057 aus systematischen Gründen zu § 18 Abs. 1 ContStifG8. Nach § 18 Abs. 1 ContStifG bleiben Leistungen nach diesem Gesetz bei der Ermittlung oder Anrechnung von Einkommen, sonstigen Einnahmen und Vermögen nach anderen Gesetzen, insbesondere dem Zweiten, Dritten, Fünften, Neunten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch und dem Bürgerlichen Gesetzbuch, außer Betracht. Die frühere Regelung in § 22 Satz 1 des Errichtungsgesetzes wurde in § 18 Abs. 2 ContStifG übernommen.
In der Gesetzesbegründung wird insoweit ausdrücklich ausgeführt, dass es sich bei der Aufnahme des Bürgerlichen Gesetzbuches als Verweis um eine Klarstellung handele, da die beispielhafte Aufzählung von Gesetzen in § 21 Abs. 2 Satz 1 des Errichtungsgesetzes nicht abschließend sei. Obwohl die Bundesregierung von jeher die Auffassung vertreten habe, dass diese Leistungen bei der Bemessung von Unterhaltsleistungen grundsätzlich nicht berücksichtigt werden dürften, habe in der Vergangenheit in Einzelfällen bei Scheidungen offensichtlich Unsicherheit darüber bestanden, ob die Conterganrenten bei der Bemessung von Unterhaltsleistungen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch herangezogen werden könnten. Ein ausdrücklicher Verweis auf das Bürgerliche Gesetzbuch sei im Errichtungsgesetz unterblieben, da in Anbetracht des damaligen Alters der Contergangeschädigten eine Unterhaltsanrechnung im Trennungs- oder Scheidungsfall nicht explizit geregelt worden sei. Dem Gesetzgeber obliege es jedoch, auch in Zukunft darüber zu wachen, dass die Leistungen der Stiftung der übernommenen Verantwortung gerecht würden. Zur Vermeidung von Auslegungsproblemen sei es daher erforderlich, klarzustellen, dass die Leistungen nach dem neuen Conterganstiftungsgesetz auch bei der Bemessung des Unterhalts als echte Zusatzleistungen erhalten bleiben9.
Diese Erwägungen gelten für die Leistungen nach dem HIV-Hilfegesetz entsprechend. Sinn und Zweck des HIVHilfegesetzes war, den unmittelbar und mittelbar Betroffenen sowie ihren Angehörigen eine schnelle und angemessene Unterstützung zu gewähren. Die Leistungen, die ohne Prüfung der Einkommens- oder sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse erfolgen, haben keine Einkommensersatzfunktion, sondern werden als humanitäre Hilfe gewährt.
Dem in § 1 HIVHG und in der Gesetzesbegründung10 ausgewiesenen Zweck, auch den unterhaltsberechtigten Angehörigen von infizierten/erkrankten Personen finanzielle Hilfe zu leisten, wird durch an nicht infizierte Kinder und Ehepartner von infizierten/erkrankten Personen gewährten Leistungen gemäß §§ 15 Abs. 4, 16 Abs. 2 und 3 HIVHG Rechnung getragen. Dagegen gebietet der Zweck es nicht, den Unterhalt von nicht infizierten Ehegatten zu Lasten des infizierten Ehegatten unter Berücksichtigung von dessen HIV-Rente zu bemessen.
Da die Renten nach dem HIV-Hilfegesetz kein unterhaltsrechtliches Einkommen darstellen, findet § 1610 a BGB insoweit keine Anwendung. Daher kommt es auch nicht darauf an, dass dem Ehemann nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Amtsgerichts bislang ein krankheitsbedingter Mehrbedarf nicht entstanden ist.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 4. Juli 2018 – XII ZB 448/17
- im Anschluss an BGH, Beschluss vom 16.07.2014 – XII ZB 164/14 FamRZ 2014, 1619 zur Conterganrente [↩]
- im Anschluss an BGH, Urteil in BGHZ 188, 50 FamRZ 2011, 454 [↩]
- vgl. dazu BT-Drs. 13/1298 S. 11 [↩]
- BGBl. I 1270, 1272 [↩]
- vgl. dazu BGH, Beschluss vom 16.07.2014 XII ZB 164/14 FamRZ 2014, 1619 [↩]
- BGBl.1971 – I 2018; 1972 – I 2045; im Folgenden: Errichtungsgesetz [↩]
- BGBl. I 2967; neu gefasst durch Bekanntmachung vom 25.06.2009 BGBl. I 1537, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21.02.2017 ((BGBl. I 263 [↩]
- BT-Drs. 15/5654 S. 13 [↩]
- BT-Drs. 15/5654 S. 13 [↩]
- vgl. etwa BT-Drs. 13/1298 S. 8, 11 [↩]